Glückliche Pferde

Ein Beitrag von Marlitt Wendt, Verhaltensbiologin, spezialisiert auf das Verhalten/die Ethologie des Pferdes

Was macht das Pferd glücklich?

Ganz allgemein möchte ich vorweg sagen, dass der Glücksbegriff ja sehr schwierig greifbar ist, da es sich beim Glück um einen extrem vielschichtigen Zustand handelt, der vielleicht sogar von jedem von uns etwas anders definiert wird. Aus meiner Sicht umschließt das Glücksgefühl sowohl das zufriedene Gefühl der emotionalen Ausgeglichenheit, die spontane Freude als auch die berauschende Euphorie. Biologisch gesehen ist das Glück sowohl beim Menschen als auch beim Pferd eine Folge unterschiedlicher Mechanismen im Gehirn, der Ausschüttung von Endorphinen, Oxytocin und das Zusammenspiel der Neurotransmitter Serotonin und Dopamin mit anderen Botenstoffen im Gehirn.

Pferde drücken ihre Emotionen körpersprachlich aus. Definiert man „glücklich“ als freudig oder zufrieden, so erkennt man ein glückliches Pferd an eben diesen Merkmalen der Körpersprache und Mimik. Freudige Pferde zeigen etwa ein glückliches „Spielgesicht“, sie lächeln quasi, indem sie mit weichem, wachen Blick ihre Umwelt betrachten, die Lippen und Nüstern entspannen und die Ohren aufmerksam aufstellen oder bewegen. Dabei verlängern sie ihre Oberlippe je nach Erregungsgrad wie einen Rüssel nach vorn. Die gesamte Körperhaltung ist entspannt, der Schweif wird getragen und die Bewegungen erscheinen sehr fließend. Sicher ist auch ein dösendes Pferd glücklich, wenn es zufrieden ruht. Pferde lassen in diesem Zustand den Kopf etwas sinken, stehen mit häufig abgestelltem Hinterbein und erscheinen in ihrer Muskulatur sehr weich. Der Blick wirkt nach innen gerichtet oder die Augen sind geschlossen, während die Unterlippe schlaff herunter hängt.

Pferde sind zunächst einmal zufrieden, wenn ihre natürlichen Bedürfnisse gestillt werden, sie benötigen für ihr Glück die Gesellschaft anderer, mit denen sie eine stabile über einen langen Zeitraum konstante Gemeinschaft bilden können und in der Herde wirklich Tag und Nacht zusammenleben. Dabei benötigen Pferde Freunde, da deren Körperkontakt und die gegenseitige Fellpflege, das gemeinsame Grasen und Ruhen sie beruhigt. Natürlich brauchen Pferde an ihre körperlichen Konstitution angepasstes Futter, da die Futteraufnahme für das Pferd von entscheidender Bedeutung ist. Auch der ausreichende Platz für eine freie Bewegung sollte für das Bewegungstier Pferd vorhanden sein.
Neben der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Tierart Pferd macht ein Pferd ebenso wie den Menschen die emotionale Ansprache psychischer Bedürfnisse glücklich, sie benötigen Körperkontakt, das Gefühl sicher und aufgehoben zu sein, die Gewissheit, ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen zu können und ihre individuellen Stärken ausleben zu können und ihre Intelligenz und Kreativität entwickeln zu dürfen.

Pferdegerechte Haltung für glückliche Pferde

Die beste Haltungsform für glückliche Pferde orientiert sich stets an der natürlichen Lebensweise ihrer wilden Vorfahren, also eine Gruppenhaltung auf möglichst großem Terrain. Je weiter man sich von dem von der Natur für das Pferd bestimmten Lebensraum entfernt, desto wahrscheinlicher werden neben gesundheitlichen Einschränkungen auch Depressionen, Stereotypien oder Verhaltensstörungen. Bei Störung des Wohlbefindens des Pferdes, sollte primär die Haltungsform genau bewertet und entsprechend verbessert werden. In der Wissenschaft wird diese Bereicherung eines künstlich für die Tierhaltung geschaffenen Lebensraum Enrichment-Maßnahmen genannt. Solche Maßnahmen wären etwa die Vergrößerung und Ausgestaltung des Paddock- oder Weidebereiches, zum Beispiel durch das Aufschütten von Sandhügeln als Ausblick oder durch das Aufstellen von Baumstämmen als Kratzgelegenheit oder die Orientierung an Offenstallsystemen wie etwa des Paddock-Paradises oder der Aktivstall-Idee.

Liebevoller Umgang

Pferdegerecht ist unser Umgang mit den Tieren immer dann, wenn wir in unseren Handlungen für sie vorhersehbar sind. Das bedeutet, dass wir uns im Vorfeld Gedanken über unsere eigenen Ziele und Wünsche machen sollten, um diese dann im Training zu verfolgen. Eine motivierende Umgangs- und Trainingsform besteht in der Methode der positiven Verstärkung, also des Belohnungslernens. Pferde lernen leicht und gerne, wenn sie keine Angst haben müssen und frei von Druck und Strafandrohungen lernen können. Für unseren Umgang ist es also wichtig, auch mal aus Reitertraditionen auszubrechen und nach einer positiven Lernalternative zu suchen. Beispiel einer gewaltfreien Ausbildungsmethode auf Basis der positiven Verstärkung ist das Clickertraining.
Für das Pferd ist auch die liebevolle Zuwendung durch den Menschen immens wichtig. Berührungen sollten dem Pferd gefallen, manche Pferde lieben eher leichte Streicheleinheiten, andere ein kräftiges Kraulen,. Diese Lieblingskraulstellen zu entdecken und dem Pferd genussvollen Körperkontakt zu schenken beeinflusst das Glücksempfinden positiv.

Reiten im Einklang mit unserem Pferd

Beim Reiten ist das Pferd immer dann glücklich, wenn es seine Aufgabe über positive Verstärkung erlernt hat und weder über- noch unterfordert wird. Auch die Abwechslung spielt aus meiner Sicht eine große Rolle. Gerade auch die Erkundung der Umgebung auf Ausritten kann den Erlebnishorizont des Pferdes sehr erweitern und trägt zum Glück des Tieres bei.

Die innere Einstellung zum Pferd

Der für mich wichtigste Punkt für eine glückliche Beziehung zwischen Pferd und Mensch liegt jedoch in der Einstellung des Menschen. Nur wer seinem Pferd wirklich emotional zugeneigt ist und es in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen kann, wird diese Zuneigung auch vermitteln können. Das Glück des Pferdes ist insofern auch davon abhängig in wie weit wir es schaffen, unser Pferd vorbehaltlos zu lieben und es in seinen Stärken und Schwächen wahrzunehmen. Ein Pferd braucht wie wir Menschen das Gefühl wirklich wahrgenommen zu werden und nicht nur an seinen Leistungen oder seiner Schönheit gemessen zu werden. Das Glück von beiden Seiten entsteht einfach dort, wo keiner eigene Erwartungen auf den anderen überträgt, sondern an einem echten Miteinander interessiert ist.

Herzliche Grüße,

Marlitt Wendt

 


 

 

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